Der rechtliche Beirat der No SLAPP Anlaufstelle im Gespräch: Madeleine Petersen Weiner
Die No SLAPP Anlaufstelle zum Schutz publizistischer Arbeit in Deutschland wird von derzeit 17 Rechtsexpert*innen unterstützt, um die Schulungen und andere Angebote der Anlaufstelle auf fachlich höchstem Niveau zu halten. Und um bei konkreten SLAPPs bestmöglich rechtliche Beratung zu vermitteln, bei Fällen mit presse- und äußerungsrechtlichen, arbeitsrechtlichen, aber auch strafrechtlichen Dimensionen.
Mit dieser Interviewserie stellen wir die Beirätinnen und Beiräte einzeln vor, heute mit Perspektiven von Madeleine Petersen Weiner, die in Heidelberg und Berlin aktiv ist. Madeleine Petersen Weiner ist Referendarin am Kammergericht Berlin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie ist zugleich Doktorandin an der Universität Heidelberg, im Rahmen der International Max Planck Research School for Successful Dispute Resolution in International Law. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit den im grenzüberschreitenden Kontext von SLAPPs auftretenden Problemen und erarbeitet Lösungen auf Ebene des Internationalen Privatrechts und des Internationalen Zivilverfahrensrechts.
Welchen Bezug haben Sie zum Thema SLAPP - mit welchen Formen von Einschüchterung durch rechtliche Mittel beschäftigen Sie sich besonders intensiv?
Ich habe meine Dissertation zu dem Thema „SLAPP Suits – Eine internationalprivatrechtliche Untersuchung grenzüberschreitender Einschüchterungsklagen“ an der Universität Heidelberg geschrieben. Die gegenwärtige Rechtslage schafft SLAPP-Klägern ein besonders günstiges Umfeld, SLAPP-Beklagte im Wege eines Gerichtsverfahrens einzuschüchtern. In meiner Dissertation habe ich mich daher mit diesen Herausforderungen beschäftigt und wie man sie bewältigt.
Hintergrund ist, dass SLAPP-Kläger ihre Ansprüche häufig auf angebliche Persönlichkeitsrechtsverletzungen stützen. Diese eröffnen nach der gegenwärtigen Rechtslage potenziell in der gesamten EU Gerichtsstände, an denen sie die SLAPP-Beklagten verklagen können. Dies macht es den SLAPP-Beklagten nahezu unmöglich, vorherzusehen, wo sie sich potenziell verantworten müssen und schafft eine Drohkulisse, welche in einem chilling effect für die freie Meinungsäußerung resultieren kann.
Hinzu kommt, dass das auf SLAPPs anwendbare Recht nicht unionsweit harmonisiert ist. Das bedeutet, dass etwa Journalisten im Vorhinein nicht vorhersehen können, nach welchem Recht sich bestimmt, ob ihre Äußerungen zulässig sind. Dies führt potenziell zu Selbstzensur, weil sie sich am strengsten Recht ausrichten müssen. Dies hat einen „race-to-the-bottom-effect" zur Folge, was mit Blick auf die freie Meinungsäußerung über Themen von öffentlichem Interesse bedenklich ist.
Schließlich geht von SLAPPs in Drittstaaten (etwa im Vereinigten Königreich oder in den USA) aufgrund verschiedener Besonderheiten prozessualer, materiell-rechtlicher oder tatsächlicher Art eine besondere Einschüchterungswirkung für Personen aus, die sich am öffentlichen Diskurs beteiligen. Ein in einem anderen Land erstrittenes SLAPP-Urteil kann für die Betroffenen zu einer großen Unsicherheit führen, da dieses am Beklagtenwohnsitz in der EU anerkannt und vollstreckt werden könnte. Dies könnte zu einer weiteren Unsicherheit für die SLAPP-Beklagten beitragen. Ich habe in meiner Dissertation deshalb Reformvorschläge ausgearbeitet, um diese spezifischen internationalprivatrechtlichen Probleme zu lösen.
Was sind Ihre Ratschläge für Betroffene von rechtlichen Einschüchterungsversuchen?
In meiner Promotionszeit hatte ich zahlreiche Gelegenheiten, mich mit Praktikern auszutauschen, die Mandanten gegen SLAPPs verteidigen. Danach ist mein Eindruck, dass es ein vielversprechendes Mittel gegen SLAPPs sein kann, in die „Gegenoffensive“ zu gehen. SLAPPs zeichnen sich insbesondere durch ihre missbräuchliche, außerprozessuale Zielsetzung aus. Diese hat zum Gegenstand, die Äußerungen der SLAPP-Beklagten (häufig handelt es sich um Journalisten, Aktivisten oder NGOs) zu unterdrücken. Wenn es den SLAPP-Beklagten gelingt, diese Wirkungen dadurch zu unterbinden, dass sie mit den geforderten Unterlassungserklärungen oder klageweise geltend gemachten Ansprüchen an die Öffentlichkeit gehen, kann es sein, dass die SLAPP-Kläger ihre Klagen zurücknehmen, um nicht weiterhin negative Aufmerksamkeit für ihr prozessuales Vorgehen oder das zugrunde liegende Thema zu riskieren. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist der sog. „McLibel-Fall“: Zwei Aktivisten von Greenpeace London verteilten Flugblätter, auf denen McDonald’s schlechte Arbeitsbedingungen, Tierquälerei und die Förderung von schlechter Ernährung für Kinder vorgeworfen wurde. Die Aktivisten machten das gerichtliche Vorgehen gegen sie öffentlich und McDonald’s erlitt dadurch einen erheblichen Reputationsschaden. So wurde auch der Inhalt der Flugblätter stärker beachtet, als das ohne das Gerichtsverfahren der Fall gewesen wäre. Dieses soziologische Phänomen wird „Streisand-Effekt“ genannt. Damit wird der Vorgang beschrieben, wodurch ein (gerichtliches) Vorgehen gegen eine unliebsame Handlung erst die öffentliche Aufmerksamkeit generiert, die dieses Vorgehen gerade zu unterbinden versucht. Dies kann für die Verteidigung gegen SLAPPs nutzbar gemacht werden.
In der EU-Richtlinie "Über den Schutz von Personen, die sich öffentlich beteiligen, vor offensichtlich unbegründeten Klagen oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren" wurde SLAPP zum ersten Mal in Europa von offizieller Seite definiert. (Inwiefern) beeinflusst diese Formulierung ihre Arbeit jetzt schon, noch vor der Umsetzung in nationales Recht?
Im Rahmen meiner Dissertation habe ich mich ausführlich mit der Definition von SLAPPs aus der Richtlinie auseinandergesetzt. Diese enthält zwar auf der einen Seite schon vielfach erste Ansätze, das Phänomen „greifbar“ zu machen. Auf der anderen Seite fehlen jedoch noch immer trennscharfe Abgrenzungsmerkmale, um eine Differenzierung von legitimen Klagen etwa zum Schutz des guten Rufs und missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung zu gewährleisten. In meiner Dissertation habe ich zu diesen Merkmalen im Einzelnen Stellung bezogen. Ich bin jedoch der Meinung, dass erst die Umsetzung in mitgliedstaatliches Recht, eine weitere Erörterung in der Literatur sowie ggf. eine Klärung durch den EuGH dieser Definition weitere Konturen verleihen können und sollten. Insbesondere ist die Definition in erheblichem Maße von ihren rechtsvergleichenden Ursprüngen aus US-amerikanischen Anti-SLAPP-Gesetzen beeinflusst. Dort ist bereits die Ausgangsposition wie das prozessuale und materiell-rechtliche Umfeld, aber auch die verfassungsrechtliche Gewährung an die Maßstäbe von „free speech“ eine andere als auf Unionsebene. Darüber hinaus gibt es selbst innerhalb der EU Unterschiede in der Ausgestaltung des Spannungsfeldes zwischen freier Meinungsäußerung und dem Schutz der Persönlichkeit. Der Unionsgesetzgeber sollte diese Unterschiede sorgfältig abwägen und sie in einer unionsweiten Definition von SLAPPs berücksichtigen.
Worauf sollte der Gesetzgeber hierzulande bei der Umsetzung unbedingt achten?
Für die innerstaatliche Umsetzung stellt sich das bereits aufgeworfene Problem, dass innerhalb der EU Unterschiede bestehen, sowohl was das Vorkommen von SLAPPs als auch den Schutz von und die Ausgestaltung der öffentlichen Beteiligung anbelangt. Eine „one-size-fits-all“-Lösung ist abzulehnen. Dies bedeutet zwar nicht, dass es in Deutschland nicht auch zu SLAPPs kommen kann. Grundsätzlich haben die Gerichte jedoch die Mittel und sind folglich in der Lage, missbräuchliche Klagen frühzeitig zu erkennen und diese abzulehnen. Dadurch wird verhindert, dass der angestrebte chilling effect durch eine lange Verfahrensdauer und eine faktische Ressourcenbindung der Beklagten erzielt wird. Der Gesetzgeber sollte sich daher besonders auf die spezifischen hierzulande auftretenden Probleme fokussieren: Dazu zählt, dass Beklagte sich häufig im vorprozessualen Stadium in Bezug auf von Klägern geforderte Unterlassungserklärungen bereits beraten lassen müssen. Diese Kosten können die Beklagten nicht regressieren. Weiter können die Kläger zunächst übertriebene Schadensersatzsummen fordern, die erst durch eine angemessene Streitwertfestsetzung durch das Gericht reduziert werden können. Schließlich sollte das Unterstützungs- und Beratungsangebot für Beklagte ausgebaut werden. Nur so kann eine prozessuale Waffengleichheit gewährleistet werden, trotz eines möglichen (und bei SLAPPs geradezu typischen) Ressourcenungleichgewichts. Dies ist sowohl in der Richtlinie als auch in der begleitenden Empfehlung angesprochen.
Welches öffentliche Verständnis von SLAPP schlagen Sie bis zur Umsetzung vor - welche Fälle sollten als SLAPP verstanden werden, welche vielleicht auch nicht? Was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste, was die Öffentlichkeit über SLAPPs wissen sollte?
SLAPPs sind missbräuchliche Klagen, mit denen unbegründete Ansprüche verfolgt werden, und die sich gegen die öffentliche Beteiligung der Beklagten richten. Damit können sie einen Einschüchterungseffekt auf die Beklagten, einen Abschreckungseffekt auf Dritte und einen chilling effect auf den öffentlichen Diskurs als solchen haben. Typischerweise werden SLAPPs von ressourcenstarken Einzelpersonen oder Unternehmen initiiert. Die Beklagten sind i.d.R. Personen, die aus ihrer Funktion in der Gesellschaft heraus über Vorgänge berichten oder dazu ihre Meinung äußern, die im öffentlichen Interesse liegen.
Diese Definition ist ein Ansatz, um sich dem Phänomen von SLAPPs begrifflich anzunähern. Dabei werden wichtige Erscheinungsformen nicht ausgelassen und auch keine Erscheinungen mit eingeschlossen, welche ein legitimes Anliegen verfolgen und daher die Bezeichnung als SLAPP nicht verdienen. Jedes einzelne Merkmal muss jedoch im Detail erörtert werden.
Feststeht trotz aller Besorgnis um das Funktionieren des öffentlichen Diskurs ohne Angst vor Repressalien oder vor Einflussnahme, dass in einem demokratischen Rechtsstaat das Recht auf Schutz vor Falschbehauptungen und vor Diffamierungen ebenso geschützt sein muss wie das Recht auf freie Meinungsäußerung. Der Persönlichkeitsschutz ist kein Grundrecht zweiter Klasse. Die „Schwelle“ zum SLAPP ist erst überschritten, wenn die Klage kein legitimes Anliegen mehr verfolgt und ganz vordergründig dazu dient, eine Person mit den Belastungen des Zivilprozesses gezielt dazu zu nötigen, ihre legitime Beteiligung am öffentlichen Diskurs aufzugeben, einzustellen oder Äußerungen zu widerrufen. Das muss in einer Definition klar zum Ausdruck kommen. In meiner Definition wird dem insbesondere dadurch Rechnung getragen, dass es sich um unbegründete Ansprüche handeln muss und die außerprozessuale (einschüchternde, abschreckende, „gefrierende“) Wirkung im Vordergrund steht.
Wie können rechtliche Einschüchterungsversuche Ihrem Verständnis nach besonders gut abgewehrt werden?
Auf diese Frage gibt es (leider) keine einfache Antwort. Meine Untersuchung im Rahmen meiner Dissertation, insbesondere unter Berücksichtigung der Gespräche mit Praktikern, hat jedoch eindeutig ergeben, dass SLAPPs am besten mithilfe einer „ganzheitlichen“ Lösung abgewehrt werden können: Dazu zählt zunächst ein besseres Verständnis des Phänomens im Rahmen der Justiz, bei Betroffenen und in der Gesellschaft als solchen. Dem kann etwa mithilfe von Schulungen und einer weiteren Sensibilisierung begegnet werden. Dem kommt auch hinzu, dass der öffentliche Diskurs geschützt wird als ein Raum der Rede und Gegenrede und kritische Stimmen gehört werden. Es liegt auf der Hand, dass die öffentliche Debatte eigentlich nicht vor Gericht ausgetragen werden sollte. Weiter dürfen die tatsächlichen Gegebenheiten keinen Anlass dafür geben, den faktischen Suspensiveffekt im Rahmen von SLAPPs erst zu erlauben. Hierfür werden insbesondere die potenziell lange Verfahrensdauer von Zivilverfahren sowie hohe Prozess- und Anwalts- oder auch Reisekosten relevant. Schließlich sollte eine legislative Lösung des Problems die internationalprivatrechtlichen Implikationen beachten, welche dem SLAPP-Problem auf EU-Ebene wie oben näher dargelegt geradezu immanent sind. Ein Vorhaben, welches sich dem Problem der SLAPPs annimmt, sollte diese unterschiedlichen Komponenten bedenken, welche sich wechselseitig bedingen und SLAPP-Klägern mit ihren Anliegen zum Erfolg verhelfen.